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Winsen (Aller) 1945–2020. 75 Jahre Frieden

Teil 7: 2000–2009

Ein hauptamtlicher Bürgermeister für Winsen

„Doppelgleisigkeit“ kennzeichnet seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die politische Leitung der Gemeinde Winsen (Aller): Der ehrenamtliche Bürgermeister stand dem Gemeinderat vor und war für die Repräsentation zuständig. Dabei wurde der Bürgermeister nicht gewählt, sondern vom Gemeinderat berufen. Auch der Rat besaß keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Gemeindeverwaltung, sondern übte nur eine beratende Funktion aus.

Die tatsächliche Leitung der Verwaltung hatte hingegen der hauptamtliche, vom Rat gewählte Gemeindedirektor inne. Diese in Niedersachsen übliche Aufteilung der Verantwortlichkeiten war auf das Vorbild britischer Verwaltungsstrukturen zurückzuführen.

1996 reformiert der Niedersächsische Landtag das Kommunalverfassungsrecht und verabschiedet sich von dieser Zweiteilung. Von nun an leitet der Bürgermeister als oberster Repräsentant hauptamtlich auch die Verwaltung. Zudem wird er direkt von der Bevölkerung gewählt.

In der Einheitsgemeinde Winsen (Aller) kommt diese Neuregelung erst einige Jahre später zum Tragen. Bei den Bürgermeisterwahlen im September 2001 setzt sich Wilfried Hemme, langjähriges Gemeinderatsmitglied und Fraktionsvorsitzender der CDU, gegen seine Mitbewerber durch. Neun Jahre lang steht er der Gemeinde vor. 2010 erliegt er im Alter von nur 60 Jahren einer schweren Krankheit. Sein Nachfolger ist seit März 2011 Dirk Oelmann von der SPD.

Bild1: Wilfried Hemme, Bürgermeister von 2001 bis 2010

Umweltbildungszentrum NABU Gut Sunder

Das Gut Sunder ist ein Hunderte Jahre altes Teichgut der Familie von Schrader in Meißendorf. Ein fischförmiger Wetterhahn auf dem Herrenhaus erinnert noch daran, dass man hier einst die größte Karpfenzucht Nordwestdeutschlands betrieb. Das Gelände und die Gewässer des Gutes bieten heute vielen seltenen und teilweise auch vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Aufgrund dieses wertvollen Bestandes erwirbt der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU; damals Deutscher Bund für Vogelschutz) das Anwesen 1980. Zunächst führt es der Bundesverband als interne Bildungsakademie. Ein früheres Wirtschaftsgebäude wird zum Seminargebäude mit Wohn- und Schlafräumen umgebaut. Das Herrenhaus nutzt man als Naturhotel. (Mittlerweile betreibt hier die Lobetalarbeit e.V. ein Hotel mit Café).

Im Oktober 2003 übernimmt der niedersächsische NABU-Landesverband das Gut. Er richtet auf dem Anwesen ein regionales Umweltbildungszentrum mit einem breitgefächerten Seminarangebot ein. Da das Konzept überzeugt, unterstützt die Landesregierung den Umbau finanziell.

Das Angebot stößt auf reges Interesse: Auf dem NABU Gut Sunder finden im Schnitt 150 Veranstaltungen mit einem Umweltbildungsprogramm statt (Stand Ende 2019). Darüber hinaus führen die Mitarbeiter vielzählige Seminare durch und machen Kindergarten- und Schulgruppen mit dem Gutsgelände und dem Naturschutzgebiet „Meißendorfer Teiche“ vertraut. Bis zu 3.800 Gäste besuchen zudem die interaktive Wildtiernis-Ausstellung, die anhand von Filmen und Erlebnis-Stationen Einblicke in das Leben der Tiere ermöglicht.

Bild 2: Seminarhaus auf dem NABU Gut Sunder (2004)

Flößerfahrt nach Bremen

Im Jahr 1997 gründet sich – unter dem Dach des Heimatvereins – der Arbeitskreis der „Winser Flößer“. Ziel seiner Mitglieder ist es, die alte Tradition der Flößerei vor dem Vergessen zu bewahren. Dabei wollen sie auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen erforschen, die dieses Handwerk ausübten. Für die Region hatte die Flößerei speziell in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine große wirtschaftliche Bedeutung: Als der Schiffbau in den Werften an der Nordsee boomte, war das Holz der Südheide heißbegehrt. Städte wie Bremen und Bremerhaven gehörten bis in die 1920er Jahre hinein zu den Hauptabnehmern dieser Ware. Mithilfe der Flößerei wurde sie kostengünstig, aber unter großem körperlichem Aufwand über Örtze, Aller und Weser bewegt.

Der Arbeitskreis, dessen Leitung Jochen Köhler innehat, hat bereits einige Flößerfahrten nach historischem Vorbild durchgeführt, als er 2005 mit den Planungen für die bisher längste Reise beginnt. Man will diesmal die gesamte Strecke nach Bremen bewältigen, über 140 km auf den Flüssen Aller und Weser.

Bild 3: Am 3. Juni 2007 legt das Floß an der Bindestelle ab.

Ein gewaltiges Projekt unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Christian Wulff, das auch pädagogische Ziele verfolgt. Das geeignete Holz, Kiefernstämme, erhält der Arbeitskreis von der Klosterkammer Hannover. Seine Mitglieder schälen es im Beisein von Winser Schülern. Und als die Flößer die Stämme Anfang Juni an der Otten Bindestelle mit Seilen zu zwei Holzlagen verzurren, binden Jugendliche ein eigenes Gefährt ein.

Am 3. Juni 2007 startet das Floß. Es ist 30 m lang, 5,5 m breit – und 40 Tonnen schwer. Als die 23 Besatzungsmitglieder eine Woche später am Bremer Martinikai anlegen, werden sie von vielen Schaulustigen erwartet. Das Floß wird nun abgebaut, sein Holz an ein Bremer Unternehmen verkauft und die Flößer kehren – teils zu Fuß, wie es auch die Vorgänger taten – nach Winsen zurück. In der Folge setzt der Arbeitskreis sein Engagement fort: 2013 und 2016 folgen weitere Fahrten auf der Aller.

Bild 4: Die Flößer treffen am 10. Juni 2007 in Bremen ein.